PODAI

Begegnungen mit Podai

Ein Reisebericht von Karl-Heinz Krieg

 
Abb. 1: Mama Gaou bemalt Savo Onivogi. Nyanguézazou, 1987

Abb. 1: Mama Gaou bemalt Savo Onivogi. Foto: Karl-Heinz Krieg, Nyanguézazou, 1987

Abb. 2: Savo Onivogi mit Körperbemalung. 1987

Abb. 2: Savo Onivogi mit Körperbemalung. Foto: Karl-Heinz Krieg, 1987

1987 - Erste Reise in das Loma-Gebiet

“Nachdem ich mich bereits jahrelang mit der Tradition des Batikdrucks in Westafrika beschäftigt hatte, war ich im Frühjahr 1987 auf dem Wege nach Kindia im Susu-Gebiet (Guinea). Mehrere der einflussreichen Batikkünstler, deren Arbeit ich an der Elfenbeinküste studiert hatte, waren Wirtschaftsemigranten aus dem „sozialistischen" Guinea. Sie hatten ihr Handwerk in der Stadt Kindia gelernt, und ich wollte nun dort meine umfangreiche Sammlung von Druckstöcken der Elfenbeinküste ergänzen und das Studium der Batiktradition an Ort und Stelle weiterführen.

Dass wir heute die Arbeiten der Loma-Malerinnen vorstellen können, beruht auf einer Reihe von Zufällen. Ich hatte vor der Abreise Forschungs- und Reiseberichte über Guinea aus dem Hamburger Völkerkundemuseum gelesen, da mir bis dahin außer den Susu und dem Namen der Loma oder Toma nicht viel über die Bevölkerung des Landes bekannt war. Leider fand ich fast nur alte Reiseberichte vor, welche mir nicht viel weiterhelfen konnten.

Eigentlich hätte ich nach Kindia auf einer nördlichen Route über Mali, Siguiri, Kankan und Kissidougou fahren wollen, weil im Regenwaldgebiet des Südens von Guinea bereits im April die Regenzeit voll einsetzt. Nur weil ich nicht, wie geplant, die Reise mit dem Batikmeister Braima Diakité machen konnte, der aus Siguiri stammte, sondern mit dessen Kollegen Alassan Fofana, welcher ein Malinke aus Konebadou, einer größeren Marktstadt am Rande des Loma-Gebiets war, wählten wir die Regenwaldstrecke durch die südliche Elfenbeinküste, über den Grenzort Danane nach Lola, Nzérékoré und Macenta, der Distrikthauptstadt der Loma.

Im Loma-Dorf Passima, in der Nähe von Macenta, kamen wir abends an und erbaten uns von den Dorfältesten einen Schlafplatz. Wir wurden einer Familie anvertraut, die für diese Nacht unsere Patenschaft übernahm. Als ich meinen Wagen in das Gehöft fuhr, saß dort eine Frau, Komassa Guilavogi, die den Körper eines kleinen Mädchens bemalte; auch auf den Wänden umliegender Gebäude sah ich abstrakte Malereien, wie ich sie aus Afrika bisher nicht kannte. Ich war so begeistert, dass ich fast mein Ziel und den Grund meiner Reise, die Batikdruckerei, vergessen hätte. Glücklicherweise hatte ich zum Abdrucken der Batikstempel genügend schwarze Batikfarbe und Schreibmaschinenpapier bei mir. So konnte ich meine Gastgeberin am nächsten Morgen bitten, mir einige Muster ihrer Haus- und Körpermalerei aufzumalen. Aus einem alten Karton bastelte ich ihr eine Unterlage für die Papierbögen, und sie hatte keine Schwierigkeiten, ihre Muster auf das Papier zu übertragen. Komassa Guilavogi hatte auch die Malereien auf den Innen- und Außenwänden der benachbarten Häuser geschaffen, und so hatte sie sichtlich Erfahrung mit ebenen Flächen.

Wir fuhren dann weiter, durch das Loma-Gebiet, entlang der südlichen Grenze zu Liberia. Dabei fielen mir in manchen Dörfern, z.B. in Bauléma, die Malereien an den Häusern auf. Mir wurde klar, dass die Arbeiten von Passima keine individuelle Idee einer Einzelperson waren, sondern dass es sich um Zeugnisse einer alten Tradition handeln musste. Hinter diesen Arbeiten musste viel mehr stecken. Das konnte ich sehr bald beurteilen: Diese Malereien mit ihren klaren Linien waren sehr einheitlich und von einer ausgereiften Stärke, von einer Abstraktion, die mich beeindruckten. So beschloss ich, ein paar Tage in der Gegend zu verweilen. Es war wiederum ein Zufall, dass ich den schmalen Weg einschlug, der zum Dorf Nyanguézazou führte. Die Bewohner waren sehr erstaunt, dass wir den mühsamen Aufstieg zu ihrem Bergdorf gewagt hatten, wo wir in den Dörfern direkt an der Hauptpiste doch viel leichter einen Schlafplatz hätten finden können. Man suchte uns einen Parkplatz und eine Familie, die uns das Badewasser aus einer Quelle unterhalb des Berges schöpfte.

Am nächsten Morgen wanderte ich durch den Ort, begrüsste die Alten und sah wieder sehr schöne Hausmalereien. Als ich nachfragte, führte man mich zu Gaou Béavogi (Mama Gaou), einer respektierten Würdenträgerin der Gegend. Sie hatte bei der Initiation der Frauen im Jahr 1986 das Versammlungshaus der Mädchen, sowie die Häuser der männlichen Würdenträger bemalt. Sie selbst, wie auch einige ihrer Freundinnen, waren bereit, für mich einige traditionelle Muster auf Papier zu malen. Dies erforderte Vorbereitungen; und so blieben wir einige Tage. Frühmorgens sammelte Mama Gaou Blattrispen, dann mischte sie die traditionellen Erdfarben Rost und Ocker; dazu verwendete sie als organische Farbe Schwarz. Auf die Körper wird nur diese schwarze, aus Holzkohle und dem Öl des Podai-Baumes hergestellte Farbe aufgetragen. Dieser Baum, der das farbbindende Öl liefert, gab auch dem eigentlichen Verfahren der Körpermalerei seinen Namen: Podai. Ich baute wieder einen kleinen Tisch, und Mama Gaou trug mit den Blattrispen die Farbe auf mein Schreibmaschinenpapier auf. Das fettige Schwarz verschmierte jedoch das Papier - eine Enttäuschung. Besser waren dann die Ergebnisse mit der mitgebrachten schwarzen Batikfarbe. Die Erdfarben, die nur auf Hauswänden vorkommen, blätterten nach dem Trocknen zum Teil ab. Allerdings konnte ich einige Zeichnungen, sicher verpackt, nach Deutschland retten.

Der Höhepunkt unseres Besuches war erreicht, als Mama Gaou vorschlug, ein junges Mädchen, welches gerade bei ihr aus Macenta auf Besuch war, zu bemalen. Ihr Name war Savo Onivogi. Einen ganzen Tag lang war Mama Gaou beschäftigt, den Körper des Mädchens zu bemalen. So entstand die Fotodokumentation der Bemalung dieses Mädchens, und aus der Faszination dieses Erlebnisses jener Tage wurde das Podai-Malprojekt geboren (Abb. 1 und 2).

In den Jahren 1989, 1990 und 1991 machte ich noch drei Reisen in das Loma-Gebiet, nachdem ich in Deutschland von vielen Freunden, denen ich einige Blätter gezeigt hatte, dazu ermuntert worden war. Diese Reisen bereitete ich gründlich vor und holte Ratschläge von Künstlerfreunden ein, um die richtigen Farben und andere Materialien einzukaufen. Nun konnten die Frauen mit Dispersionsfarben - in ihren traditionellen Farbtönen Rost, Ocker und Schwarz - auf Papier, Karton und Sperrholztafeln malen. Der Versuch, die Frauen mit feinen Marderhaarpinseln malen zu lassen, schlug fehl: sie blieben bei ihren selbstgesammelten Blattrispen.”

 
Abb. 3: Tanzendes Mädchen. Foto: Karl-Heinz Krieg

Abb. 3: Tanzendes Mädchen. Foto: Karl-Heinz Krieg

Abb. 4: Tanz der Angbai-Maske. Foto: Karl-Heinz Krieg, Segbémé (Guinea), 1989

Abb. 4: Tanz der Angbai-Maske. Foto: Karl-Heinz Krieg, Segbémé (Guinea), 1989

1989 - Initiationsfest der Mädchen und Frauen aus Segbémé

“Als wir 1989 nach Nyanguézazou zu Mama Gaou unterwegs waren, verweigerte man uns die Übernachtung in einem Loma-Dorf. Im Nachhinein erwies sich dieses ungewöhnliche Verhalten als ein weiterer glücklicher Zufall. Wir waren dadurch gezwungen noch am gleichen Tag weiter zu fahren. Als wir abends in Nyanguézazou ankamen, teilte man uns mit, dass Mama Gaou schon am nächsten Morgen für eine Woche bei der Fraueninitiation in Segbémé mithelfen werde; wir hätten sie also verpasst. Noch in der Nacht schickte sie einen Boten und benachrichtigte die Alten von Segbémé, dass sie uns zu der Feier mitzubringen gedenke. Wegen ihres hohen Ansehens wurden wir als Gäste von Mama Gaou zugelassen.

Am nächsten Morgen fuhren wir also zusammen nach Segbémé. Als wir bei Bokpozou von der Hauptpiste abbogen und auf dem verbreiterten Fußpfad durch eine Kaffeeplantage nach Segbémé fahren wollten, konnten wir das Dorf, welches auf einem Berg liegt, mit unserem Auto nicht erreichen: vor dem Aufstieg zum Bergdorf lagen über einem kleinen Fluss nur zwei dünne Holzstämme, ausreichend für ein Fahrrad oder Moped. Wir ließen den Wagen stehen, nahmen unser persönliches Gepäck mit, und ich trug Mama Gaous Reisebündel auf meinem Kopf. Im Gänsemarsch stiegen wir den steilen Weg ins Dorf hinauf, wo wir begeistert empfangen wurden. Schnell schlugen die jungen Männer des Dorfes ein paar kleine Bäume, legten sie über das Flüsschen und bauten uns so eine Brücke für den Wagen. Die Vorbereitungen für das Initiationsfest waren in vollem Gange. Viele Freunde und Verwandte waren zum Teil von weit her gekommen, um es zu erleben. Im Buschlager befanden sich etwa 35 Initiandinnen, sowie alle Podai-Malerinnen und Würdenträgerinnen des Frauenbundes, um sich auf das große Ereignis vorzubereiten, die Initiandinnen zu bemalen und mit herrlichen Kostümen zu schmücken.

Und dann war es soweit: Frauengruppen musizierten, die alten Frauen bildeten ein Spalier, und die Initiandinnen kamen aus ihrem Buschlager in einer langen Prozession den Berg herauf und zogen unter dem Jubel der Gäste ins Dorf ein. Wir erlebten vier Tage lang Tänze, viele Spiele und Theaterstückchen, welche die Mädchen vorher im Buschlager einstudiert hatten: verschiedene Mädchen tanzten mit einem großen Reif durchs Dorf, um ihren zukünftigen Ehemann zu fangen. Mädchen legten ihr “erstes Baby” - eine im Buschlager selbst hergestellte Holzpuppe (Domi) - einem Mann in die Arme, der sich nur mit einem Geldgeschenk freikaufen konnte. Mädchen imitierten den Tanz der Vogelmaske Woniléghagi. Dies ist eine Maske der Männer, welche auch Frauen sehen dürfen. Zum Schluss erschien noch die Maske Angbai (Abb. 4), welche über die ganze Dauer des Buschlagers die Mädchen dort beschützt hatte; jetzt durfte sie sich als Lohn mit einer langen Lianenangel, zur Belustigung der Zuschauer, spielerisch die schönste Initiandin “angeln”.

Während dieser Festtage haben wir viele Leute kennengelernt. Alle bekannten Podai-Malerinnen und Würdenträgerinnen des Frauenbundes aus der Umgebung waren angereist, Mama Gaou stellte uns allen vor. Sie erzählte ihren Freundinnen, warum wir zu ihr gekommen seien, und alle waren bereit, uns nach dem Fest zu helfen. Mit Erlaubnis der Alten von Segbémé durften wir noch länger bleiben und konnten mit einigen Podai-Malerinnen zusammenarbeiten, u.a. auch mit Kolouma Sovogi.

Das Dorf Segbémé war somit, mit voller Unterstützung des Ältestenrats, der neue Podai-Mittelpunkt geworden, was eine enorme Aufwertung des Dorfes gegenüber Nachbardörfern bedeutete. Heute ist mir klar, dass ich durch die spontane Einladung von Mama Gaou zum Initiationsfest in Segbémé „in einen Urwaldfluss gefallen bin, dessen Strömung und Tiefe ich nicht kannte". 1990 und 1991 folgten weitere Forschungsreisen nach Segbémé, wo ich die Arbeit mit den Podai-Malerinnen fortsetzte und mein Wissen vertiefen konnte. Dabei musste ich lernen, dass man wohl solche Reisen am Schreibtisch planen kann, sich aber bei der Arbeit in Afrika Dinge ereignen können, die man sich daheim nicht vorstellen kann.”

 
Abb. 5: Kolouma Sovogi bemalt das Haus von Karl-Heinz Krieg. Segbémé 1996

Abb. 5: Kolouma Sovogi bemalt das Haus von Karl-Heinz Krieg. Foto: Karl-Heinz Krieg, Segbémé, 1996

Abb. 6: Haus in dem Karl-Heinz Krieg wohnte. Segbémé 1996

Abb. 6: Haus in dem Karl-Heinz Krieg wohnte. Foto: Karl-Heinz Krieg, Segbémé, 1996

1996 - die letzte Reise nach Segbémé

“Eigentlich war es meine Absicht, mit der Arbeitsreise von 1991 meine Podai-Forschung in Afrika zu beenden. Von vier Forschungsreisen hatte ich neben vielen Interview-Texten und Feldfotos 1.800 Podai-Malereien mitgebracht. Dies alles galt es zu erfassen und für eine Podai-Ausstellung im Völkerkundemuseum Hamburg bis 1995 aufzuarbeiten. Bei den Vorbereitungen für diese Ausstellung merkte ich bald, dass wir für Ausstellungsprojekte in Museen zu wenige großformatige Arbeiten hatten. Man konnte die Bilder einiger Künstlerinnen nur mit Mühe in größeren Räumen ausstellen, weil ihre Arbeiten, etwas übertrieben gesagt, nur „Briefmarkengröße" hatten. Ich merkte selbst, dass in dieser Sammlung etwas fehlte, doch ich konnte mich lange nicht mit dem Gedanken befreunden, nochmals nach Guinea zu reisen, um dort mit den besten Podai-Malerinnen weiter zu arbeiten. Obwohl ich etwas müde geworden war, überzeugten mich schließlich einige Freunde, Künstler und Museumsleute, die Aufgabe nochmals anzupacken, weil es nach ihrer Meinung für die Podai-Sache höchst wichtig war.

Meine Freunde stellten sich die Frage, wie sich die Podai-Malerinnen verhalten würden, wenn man ihnen z.B. eine breite Palette mit Acrylfarben an die Hand gäbe und sie ermuntern würde, total frei zu arbeiten. Im Bereich der Körpermalerei war nach ihrer Meinung so viel kopiert worden, dass es für die Künstlerinnen vielleicht eine große Befreiung wäre und dadurch eine neue Generation im Podai-Stil gemalter Arbeiten entstehen könnte. Die besten Malerinnen sollten möglichst große Leinwände bemalen. Ein anderer Künstler brachte die Idee ein, dass ich versuchen sollte, einen Mädchenkörper mit Gipsbinden abzumodellieren und die Modelle danach von der besten Podaikünstlerin bemalen zu lassen. Ich war schließlich von der Notwendigkeit einer nochmaligen Arbeitsreise nach Segbémé überzeugt worden. Bei so vielen spannenden Fragen wurde ich sehr neugierig und versuchte mir vorzustellen, wie die Malerinnen mit diesen neuen Möglichkeiten umgehen würden.

Diese vielen guten Ideen und Träume waren eine Sache - die Planung und erfolgreiche Durchführung eines solchen Projektes stand auf einem anderen Blatt. Seit meiner letzten Arbeitsreise von 1991 waren fast vier Jahre vergangen. In dieser ganzen Zeit hatte ich nur wenige Kontakte mit meinen Freunden in Segbémé, auch nicht mit den Künstlerinnen, denn sie hatten keine Postanschrift in ihren Dörfern. Inzwischen waren auch noch schreckliche Bürgerkriege in Liberia und Sierra Leone ausgebrochen, und viele Bewohner mussten ins Hinterland nach Guinea flüchten. Gerade das Loma-Gebiet liegt entlang der liberianischen Grenze, und viele Flüchtlinge suchten in den Gebieten um Macenta, unserem Arbeitsgebiet, Unterschlupf. Schien es nicht direkt lebensgefährlich zu sein, in diese Gebiete zu reisen? Ich fand keine schnelle Antwort auf diese Frage.

Glücklicherweise arbeitete mein Freund Alassan Fofana in Accra, Ghana. Mit ihm besprach ich in Accra die Frage einer nochmaligen Reise nach Guinea, und dann nannte ich ihm die Gründe, warum ich dieses Projekt gemeinsam mit ihm nochmals anpacken wollte. So weitreichende Entscheidungen kann ich nicht alleine treffen, und ich weiß letztlich sehr genau, dass der Erfolg einer Reise von den technischen Vorbereitungen, aber auch ganz besonders von erfahrenen, treuen Mitarbeitern abhängt. Alassan war Feuer und Flamme. Ich schickte ihn auf eine zweimonatige Erkundungsreise. Nach seiner Reise kehrte Alassan nach Accra zurück, und wir trafen uns danach in Lomé, Togo, wo er mir ein Antwortschreiben des Dorfchefs von Segbémé überbrachte und auch Briefe von wichtigen Podai-Malerinnen. Alle waren sie bereit, mit uns zu arbeiten. Nachdem mein Mitarbeiter nach dieser Erkundung eine Forschungsreise im Frühjahr 1996 als möglich ansah, schmiedeten wir Pläne. Ich kehrte nach Deutschland zurück, um hier mit den technischen Vorbereitungen zu beginnen.

Noch nie hatte ich eine Reise nach Guinea so gründlich vorbereitet: Künstlerfreunde zeigten mir, wie ich eine Leinwand grundieren musste; mein Hausarzt legte eine Gipsbinde an und zeigte mir, wie ich damit einen Körper abmodellieren konnte, ein anderer Künstlerfreund gab mir eine bemalte Gesichtsmaske mit, die er im Kunstunterricht mit seinen Schülern aus Gipsbinden hergestellt hatte. Ich kalkulierte die Menge an Acrylfarben, Grundiermasse, Malblöcken und Malkartons in den verschiedensten Größen und kaufte alles Material hier ein. In Guinea im Regenwald ist dies keine gängige Handelsware! Ich packte dann alles in meinen Geländewagen, verstaute ihn zur Sicherheit und wegen der Diebstahlsgefahr in einem Container und verschiffte diesen nach Lomé, Togo. Mein Mitarbeiter und ich standen in Lomé schon im Hafen, als das Schiff mit unserem Container ankam. Nichts hatte man aus dem verschlossenen Container stehlen können, und wir brachten den Wagen sicher mit allen kostbaren Materialien aus dem Hafengelände hinaus. Ohne großen Aufenthalt fuhren wir los und wählten die nördliche Route über Burkina Faso, Mali, über den Grenzübergang bei Siguiri nach Guinea, Kankan, Kissidougou direkt nach Segbémé, in der Region von Bofossou.

Der Empfang in Segbémé war herzlich wie immer. Nur der Dorfchef fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, weil er meinen alten Kredit nicht zurückzahlen konnte und er auch das Geld für mein Rundhaus, das man bis zu meiner Ankunft hätte bauen sollen, anderweitig „kurzfristig" zweckentfremdet hatte. Die Begründung war sehr einfach: Das traditionelle Rundhaus sei nicht gebaut worden, weil die Alten sich nicht vorstellen konnten, dass ein Weißer gerade in solch einem „altmodischen" Rundhaus mit Grasdach wohnen wollte - da sie sich doch selbst alle möglichst ein viereckiges Haus aus Zementsteinen und mit einem Wellblechdach wünschten. Nach zwei Wochen war mein Haus fertig. Es war eine doppelt bezahlte Gemeinschaftsarbeit des Dorfes, die Frauen schafften das Wasser herbei, stampften den Lehmboden und kalkten das Haus mit blütenweissem Kaolin. Kolouma war inzwischen eingetroffen, und sie war mächtig stolz, dass ausgerechnet sie mein Häuschen bemalen durfte (Abb. 5 und 6).

Bei den vorangegangenen Arbeitstreffen in Segbémé hatte ich es gelernt, die alten Würdenträger und die Würdenträgerinnen bei allen wichtigen Entscheidungen mit einzubeziehen und mich mit ihnen zu beraten. Die Bezahlung der Frauen und all derer, die mit uns arbeiteten, war ein sehr sensibles Thema. Der Erfolg unseres Projektes war nur garantiert, wenn ich dabei keine Fehler machte. Und so kam ich auf die Idee, die Vergütung der Frauen zusammen mit den Alten und dem Dorfchef auszuhandeln. Keine Bezahlung erfolgte hinter dem Rücken der Alten: sie nahmen den Lohn für alle Frauen in ihre Hände, sie überprüften die Kalkulation und reichten dann die volle Summe an die jeweiligen Frauen weiter. Da diese Künstlerinnen noch nie im Leben für ihre Malarbeiten bezahlt worden waren, sondern dies traditionell untereinander mit Geschenken geregelt wird, mussten wir eine praktikable Basis finden. Ich fragte die Alten und die Frauen nach den Tagessätzen, die einem Farm- oder Kontraktarbeiter zustanden. Nachdem ich diese Tagessätze kannte, wusste ich, was ich zu tun hatte: ich bot allen Frauen die gleiche Bezahlung an: für einen Tag Malen bekamen sie drei Tagessätze eines Farmarbeiters, zusätzlich Essen, Schlafplatz und Fahrgeld. Da wir wegen der frühen Regenzeit immer wieder das Problem hatten, die Frauen mitten in der Ackerbausaison zum Malen nach Segbémé zu rufen, machte es die für dortige Verhältnisse sehr hohe Bezahlung den Bäuerinnen möglich, zwei oder drei Feldarbeiter für sich anzustellen. Eine der Frauen war ganz ehrlich zu mir und schmunzelte: „Dies ist für mich ein gutes Geschäft, weil ich ohne Arbeit (Malen ist doch keine Arbeit) drei junge Männer bezahlen kann, die mir die ganze schwere Feldarbeit abnehmen". Es war also ein gegenseitiges Nehmen und Geben.

Die Frauen wurden also nicht pro Bild bezahlt, und so standen sie unter keinem Leistungsdruck. Ich hatte ihnen gesagt, dass sie sich viel Zeit nehmen und alles spielerisch angehen sollten. Ob eine Frau zwei oder fünf Arbeiten am Tag malte, war mir egal: die Qualität der Malereien war der einzige Maßstab dafür, dass sie weiterarbeiten durften. Am Ende der Arbeit, wenn alles zufrieden stellend verlaufen war, bekamen sie ihre Bezahlung vor dem Ältestenrat. Als Geschenk erhielt jede Frau Stoff für ein schönes Kleid und eine Prämie, über deren Höhe ich entschied und die ich vor den Alten und den Malerinnen begründete. Die Frauen waren alle hoch motiviert. Man hatte das Gefühl, dass zwischen ihnen eine Art Wettkampf stattfand: Jede Frau verteidigte nicht nur ihre Berufsehre und ihren Namen, sondern auch die Ehre ihres Dorfes.

Wie groß der Erfolg und wie gut die Stimmung war, drückt sich auch in der Anzahl der bei dieser Reise gemalten Arbeiten aus: 18 Frauen arbeiteten mit uns sechs Wochen lang und malten insgesamt 1.800 Bilder (welches genau die gleiche Anzahl ist, welche bei den vier vorangegangenen Reisen gemalt wurde). Die großen Leinwände hatte ich in Lomé, Togo, gekauft. Es war nicht einfach, für das Grundieren und Bemalen dieser Tücher eine praktikable Lösung zu finden: es war nämlich wegen der enormen Insektenplage unmöglich, diese Tücher im Freien zu bemalen. Die Insekten wurden von der grell-weißen Fläche magisch angezogen und sie hatten die Unart entwickelt, auf die grundierten Tücher ihren „Kaka" fallen zu lassen (wie die Loma sagen).

Im Dorf konnte ich einen halbfertigen modernen Bau mit festem Dach und großer Empfangshalle mieten. Nun fuhr ich nach Macenta und ließ mir von einem Schreiner drei Holzböcke bauen, worauf ich dicke Mahagonibretter legte. Abgedeckt wurden die Bretter mit einer dünnen Hartfaserplatte. So entstand also eine Arbeitsfläche von 1,50 x 2m, auf welche die Leinwände mit Nägeln fixiert wurden. Nachdem ich die Leinwände grundiert hatte, wählten wir die Frauen aus, von denen wir das Gefühl hatten, dass sie die großformatigen Arbeiten ohne Probleme meistern konnten. Geübt waren die meisten Frauen ja schon durch die Bemalung von großflächigen Hauswänden. Die einzige Neuerung war, dass das Tuch nicht an eine Wand gepinnt war, wie ich es zuerst versucht hatte, sondern dass ich es flach auf den Arbeitstisch spannte. Weil sie von jeder Seite aus malten, mussten die Künstlerinnen um den Arbeitstisch herumlaufen. Dies erforderte volle Konzentration, damit die Farbe nicht auf das Tuch tropfte. Eine Frau brauchte etwa einen Tag, um ein großes Tuch zu bemalen; obwohl keine Frau ihre Muster vorzeichnete, sondern das Bild frei, aus der Mitte heraus, entwickelte, musste ich kein einziges der 18 Tücher überstreichen.

Während unserer sechs Wochen in Segbémé verschlechterte sich die politische Situation zusehends. Weil nachts Banditen von Liberia über die Grenze kamen, musste ich sogar meinen Geländewagen verstecken. In den Bauerndörfern, in der Region um Macenta und Bofossou suchten Loma-Flüchtlinge aus Liberia Zuflucht und brachten das soziale Gefüge durcheinander. Frauen hatten ihre Männer im Bürgerkrieg verloren und flüchteten mit ihren kleinen Kindern über die Grenze.

Dass wir unsere Arbeit trotz aller Not erfolgreich abschließen konnten, grenzte an ein Wunder. In den nachfolgenden zwei Jahren wurden die Gebiete um Macenta, Bofossou und Guékedou von den Auswirkungen des Bürgerkrieges in Sierra Leone und Liberia stark in Mitleidenschaft gezogen, und viele Menschen mussten flüchten. Unsere Reise von 1996 war vielleicht eine der letzten Möglichkeiten, die Studie der Podaimalerei abzuschließen.”

 
 

Text: Karl-Heinz Krieg, 2003

Aus: Podai - Malerei aus Westafrika, museum kunst palast, Düsseldorf, 2003